Ein Liebesbrief an ein Lebewesen, das zu einem Zeitpunkt in mein Leben getreten ist, als ich keinen Halt mehr hatte und das mir mit seinen Gesten klarmachte, was Liebe und tiefstes Vertrauen bedeutet.

Ein Lebewesen welches mir gegeben wurde, um den Sinn und die Schönheit des füreinander Daseins zu verstehen und zu leben. 

Liebesbrief für Wuffi

Ich habe Sie kennengelernt, als ich auf der verzweifelten Suche nach einem Job war und einfach in verschiedene Firmen ging um nach Arbeit zu fragen. So führte mich mein Weg auch zu einer unscheinbaren Firma Namens X. Ich stellte mich vor, Herr X stellte mich ein und ich fing an zu arbeiten. Ich war froh, nach einer langen Durststrecke einen Job zu haben und Geld zu verdienen.

Eines Abends kam SIE plötzlich durch die Werkstatt gelaufen. Sie war schön, klein, total aufgeregt und liebesbedürftig. Sie kam sofort zu mir, lehnte sich an mich und ich sah die Sehnsucht nach Liebe in Ihren jungen Augen. Ich kannte diesen Ausdruck, sah ich ihn nur selbst zu oft in meinen Augen und spürte ihn immer wieder in meinem Herzen. Ich nahm sie und drückte sie fest an mich, dies sollte der Beginn einer großen Liebe sein. 

Mein Job war o.k. und die Leute auch einigermaßen. Ich machte gute Arbeit und auch der Chef, welcher mir sehr unsympathisch war, mochte mich und ab und zu kam es vor, daß SIE am Abend in die Werkstatt kam und mich schon regelrecht suchte. Ich sah sie heranwachsen und jedes Mal, wenn ich sie wieder sah, wirkten Ihre Augen trauriger und sehnsuchtsvoller.

Ich spürte, daß es Ihr nicht gut geht, wußte aber noch nicht warum - bis ich eines Tages ihr Zuhause sah. Es war grausam, ja es war ein Schock:
Es war Winter geworden und es war bitter kalt. Ich mußte etwas privates für den Chef erledigen, der hinter seiner Firma, auf einem feudalen Grundstück in einem mega-noblen Haus wohnte. Ich lief durch seinen Garten und da sah ich SIE.

Sie lebte in einem Gitter-Käfig ohne ein Dach, es waren minus 10 Grad, in dem Käfig lag Schnee, Scheiße und Schneelöcher, die von Urin getränkt waren. In der Ecke stand eine kleine Hütte, in die sich kein Lebewesen reinlegen würde. Aber das schlimmste war, es waren überall Blutspuren von Ihren Füßen zu sehen. Jeder Schritt in dieser verzweifelten Situation wurde dadurch dokumentiert. Sie kauerte am Gitter und schien mich kaum noch zu bemerken. Dann hob sie Ihren Kopf, schaute mich an und ich fragte mich, lebt sie noch oder sind es nur die letzten Zuckungen, die das Heben ihres Kopfes veranlassten? Ich streckte meine Hand durch das Gitter, berührte ihre trockene kalte Nase, streichelte sie und spürte ihren schwachen Atem. Sie war total apathisch. Sie spürte wohl meine Hand, aber sie konnte nicht mehr mit Freude reagieren. Das Blut in ihrem Käfig kam von ihren Füßen, die durch Streusalz total aufgerissen waren. Sie schien mir dem Tode näher als dem Leben, hatte sich scheinbar ihrem Schicksal gefügt und wartete wohl darauf, daß es vorbei ist.

Ich war total geschockt über diese fatale Situation dieses wunderschönen Lebewesens und ich verstand jetzt diese tiefen Blicke in meine Augen: es war ein Schrei nach Hilfe! Ich hatte ja keine Ahnung wie sie lebte, aber es war schlimmer, als ich es mir jemals hätte vorstellen können.

Fortan hatte ich nur noch einen Gedanken: "BEFREIUNG" so schnell es geht.

Mein Glück war, daß der so widerliche Chef mich mochte und es kam soweit, daß er mit seiner Familie in den Urlaub fuhr und mich fragte, ob ich mich um das in seinem Garten lebende Lebewesen kümmern könnte. Einmal pro Tag kurz die Käfigtür aufmachen, etwas zu fressen reinschieben und wieder zumachen würde genügen. Ich willigte natürlich sofort ein, denn dies bedeutete auch einen Schlüssel für den Käfig zu haben. Er überreichte mir alle Schlüssel, was auch mir gegenüber ein großer Vertrauensbeweis war, hatte ich denn auch noch Jobs in seinem Hause zu erledigen.

Kaum war er mit seiner Familie in den Urlaub verschwunden, schloß ich den Käfig auf, holte sie heraus, lud sie in mein Auto und nahm sie mit zu mir nach Hause. Sie wußte erst nicht wie ihr geschah. Aber nach und nach taute sie förmlich auf. Sie erwachte aus ihrem Alptraum, sah mich und spürte wieder ein bißchen das Leben. Vor lauter Freude machte sie mir mein Auto naß, da sie diesbezüglich - bedingt durch ihr Dasein in Regen, Kälte und Schnee - erhebliche Probleme hatte.

Drei wunderschöne Wochen verbrachten wir zusammen. Sie schmachtete nach Liebe und Wärme und wollte nie wieder gehen und mir gab sie natürlich auch sehr viel, denn waren dies genau die Gefühle, die ich auch während meines Lebens bei den sogenannten Eltern schmerzlich vermißte. Wir gaben uns beide das, was wir so bitter nötig hatten. Und obwohl sie eigentlich eine ganz andere Art war, verstand ich doch alles und umgekehrt genauso.
Aber der Tag kam und ich mußte sie schweren Herzens wieder zurück in ihren Käfig bringen. Es brach mir das Herz und sie verstand es nicht, aber was sollte ich tun. Ich hatte vorläufig keine andere Wahl.

Eines Tages beschloß der Chef, die Firma zieht um in eine andere Stadt. Alles wurde größer, es kamen mehr Leute und auch ich wurde in meiner Position plötzlich zum Abteilungsleiter gemacht.
Im Hinterhof des neuen Geländes wurde dann auch der Käfig von ihr aufgebaut. Ich konnte sie nun jeden Tag sehen und gab ihr immer mein Essen bzw. brachte ihr immer etwas mit. Doch wirklich helfen aus Ihrer Misere konnte ich ihr nicht. Über die Wochenenden bekam sie nichts zu essen, da sich der Chef natürlich nicht die Mühe machte, extra wegen ihr 10 km mit dem Auto zu fahren. Also stieg ich im Dunkeln über das Firmentor, brachte ihr Nahrung, streichelte ihre Nase und redete mit ihr, mehr war leider nicht möglich, aber sie genoß es in vollen Zügen. So verbrachten wir immer mehr Abende zusammen. Es war wirklich schön.

Es vergingen einige Wochen, mein Job als Abteilungsleiter war irgendwie sehr problematisch, da ich immer mehr verspürte, daß man mich als Spielball zwischen zwei verfeindeten Parteien benutze. Eines Tages gipfelte dies in einer handfesten Auseinandersetzung zwischen diesen Parteien. Ich stand dabei und fragte mich plötzlich, was mach' ich hier überhaupt, verlautete mündlich meine Kündigung und ging nach Hause.

Ich schrieb meinem Chef einen Brief, stellte meinen Standpunkt klar und verabschiedete mich jedoch noch mit der Bemerkung, daß ich immer bereit bin mich um dieses armselige Lebewesen, welches in dem Käfig hinter dem Haus lebte, zu kümmern.
Die Antwort auf mein Schreiben war Unverständnis und die Erteilung eines Hausverbotes. Es war grausam, bedeutete es denn für mich, ich würde sie nie wieder sehen.
Es vergingen Tage, Wochen, an denen ich immer wieder an sie dachte, aber ich konnte ihr nicht helfen, da auch das Firmengelände mittlerweile mit einer scharfen Alarmanlage gesichert war.

Eines Tages geschah es dann: Ein Abgesandter der Firma brachte sie zu mir, mit der Begründung, man brauche diese armselige Kreatur nicht mehr. Er schmiss sie regelrecht aus dem Auto und fuhr ohne einen weiteren Kommentar davon. Da lag sie nun vor mir, es ging ihr schlecht. Sie war abgemagert und extrem apathisch. Doch plötzlich erkannte sie mich, fing an zu jaulen, wedelte mit ihrem Schwanz und lag vor lauter Freude sogleich in einer Pfütze, durch ihre nach wie vor kranke Harnblase. Auch konnte sie kaum richtig laufen, da ihre Hüfte bedingt durch die schweren ersten drei Lebensjahre mit schlimmen rheumatischen Schäden behaftet war.

Aber egal wie es war, Hauptsache sie war da !

Endlich waren wir für immer zusammen. Ich päppelte sie auf und von Tag zu Tag war mehr Lebensfreude in ihrem Gesicht zu erkennen. Es dauerte aber zwei Jahre, bis sie auch ihre Blase wieder richtig unter Kontrolle hatte. Das heißt, sie ließ es bei jedem freudigen Anlaß - und es gab nur noch freudige Anlässe - einfach laufen. Sehr zum Leidwesen meiner Mitmenschen. Aber auch das legte sich dann mit der Zeit und mit einer gezielten Behandlung.

Mein ganzes Leben veränderte sich. Hatte ich denn plötzlich, obwohl es Zeiten gab, wo ich das Leben hier schon aufgegeben hatte, jemanden der mich wirklich brauchte und der mir auch soviel zurück gab, wie ich es noch nie erlebt hatte. Wir sprachen im Prinzip verschiedene Sprachen, aber irgendwie war klar, daß wir bedingt durch unser sehr ähnliches Schicksal in unseren jungen Jahren, immer genau wußten, wie der andere fühlt und was er braucht. In unserem Bedürfnis nach Wärme und Zärtlichkeit standen wir uns in nichts nach.

Drei Jahre war sie alt, als sie zu mir kam. Heute sind elf weitere Jahre vergangen und wir brauchen uns immer noch genau so wie am ersten Tag, als wir uns trafen.

Viele schwere Zeiten haben wir durchlebt, einen Tumor bei ihr besiegt, aber auch viele, viele wunderschöne Zeiten erlebt.

Heute sind wir beide nicht mehr die Jüngsten, wobei sie ihrer Art entsprechend eigentlich schon eine liebe, alte Oma ist. Ihr Ausdruck der Liebe mir gegenüber ist aber immer noch unverändert und mein erster Sinn des Lebens ist es, ihr bis zu ihrem Lebensende, das leider auf jedes Lebewesen dieses Planeten wartet, ein liebevoller Partner zu sein, welcher die Bedürfnisse des Partners schon im Entstehen verspürt und darauf sofort reagiert. Alle Gelehrten sind zutiefst beeindruckt über den körperlichen Zustand von ihr und voll Stolz genieße ich die Bestätigung, daß man mit viel Liebe, der Kunst, das Leben als solches zu spüren, zu verstehen und zu leben, und mit der Erkenntnis, daß das Leben aus einer Symbiose zwischen Natur, Tier und Mensch und dem Verständnis dieser Beziehungen besteht. Aber an erster Stelle steht die Liebe zu dem Ganzen. Und auch wenn manchmal so dunkle Wolken über einen herziehen , so ist die Liebe die Kraft, welche diese vertreibt und Dich wieder die Sonne sehen läßt. Und genau das hat sie immer wieder bei mir geschafft, in diesen elf Jahren, wo es auf und ab ging.

Liebe Wuffi, durch Dich habe ich viel gelernt. Deine Freude, die Du bei immer wiederkehrenden Dingen an den Tag legst, sei es Gassi gehen, sei es einen Artgenossen zu treffen, etwas zu Fressen zu bekommen oder einfach die Riesenfreude, wenn wir uns sehen - all diese scheinbar banalen Dinge habe ich verstanden und dafür danke ich Dir.

Ich liebe Dich und auch wenn bedingt durch den Lebenszyklus unsere gemeinsame Zeit begrenzt ist, wirst Du niemals wirklich von mir gehen.

Dein Geist lebt in mir und wird so lange ich lebe versuchen, so positiv wie wir uns gegenseitig immer bestärken, auch andere Menschen zu bestärken und ihnen den wahren Sinn des Lebens klarzumachen.

Ich danke Dir für alles und genieße jede Sekunde mit Dir.

Danke Wuffi

Wir werden noch eine schöne Zeit haben !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

Mußte mir erst ein Hund begegnen, um das bis dahin enttäuschte Leben eines Menschen ins rechte Licht zu rücken.


Michael Erdmann
8. Oktober 1998

 

 
 

 

Wuffi starb am 15.05.2000 
im Alter von 15 1/2 Jahren.

 

 

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